Freiwerden von der Selbstverteufelung und Ichzerfaserung in der Nähe Jesu
Welche Macht das Böse (als Ichaufblähung aus lauter Angst) im Menschen haben kann - das zeigt die Szene des Besessenen in Kapharnaum (Mk 1,21-28). Und die Szene zeigt, welche Kraft und Macht Religion, Gottverbundenheit, Glaube haben kann oder sollte. Es geht dabei nicht um Teufelaustreibung, sondern um eine Seelenerkrankung, in der ein Mensch an sich selber leidet. Er ist jeder Art psychischer Unfreiheit ausgeliefert. Er fühlt und denkt anders, als er es will. Er redet und handelt wie gespalten. Er muss sich buchstäblich wie "besessen" vorkommen. Er bewegt sich in Teufelskreisen von Angst und Selbsthass, Selbstablehnung und Einsamkeit. Er kann nicht leben, was in ihm leben will aufgrund einer inneren Organisation von Angst (entsprechend einer Mafia-Bande). So verteufelt er sich vielleicht selbst.
In meinem Beitrag erwähne ich einen Fall einer sogenannten multiplen Persönlichkeitsstörung: Die betreffende Frau hat gewissermaßen drei Stimmen in sich, sie redet wie im Kollektiv. In ihr ist die 5-Jährige (die unbekümmert in den Kindergarten geht) noch bevor sie als 9-Jährige von einem Verwandten schwer mißbraucht und vergewaltigt wird, die 13-Jährige, die iin der Duschkabine eines Schwimmbades später vergewaltigt wurde, die Erwachsene, die zeitweise realitätskonform denkt und redet..Alle Versuche einer psychiatrischen bzw. psychoanalytischen Behandlung in unterschiedlichen Kliniken und Praxen scheitern durch einen vorzeitigen Therapie-Abbruch durch die Klientin bzw. einflussreicher nahestehender Personen. Die Forderung der Patientin und einer Verwandten nach einem kirchlichen Großen Exorzismus (möglichst in lateinischer Sprache) wächst vehement. Ein solcher aber wird von den meisten deutschen Bischöfen nicht toleriert, Ausnahmen gibt es in Frankreich und Italien. Heimlich wird ein solcher Exorzismus ( im Sinne einer Teufelsaustreibung) trotz Verbot und massiver Infragestellung einer solchen Vorgehensweise durchgeführt. Mehrmals führt dies zu einem lebensbedrohlichen physischen und psychischen Zusammenbruch. Damit kein zweiter "Fall Klingenberg" entsteht (Exorzismus an einer Studentin mit Todesfolge und anschließender gerichtlicher Verurteilung der Eltern und des exorzierenden Pfarrers), bleibt die Dringlichkeit einer psychiatrischen-psychotherapeutischen Behandlung. Fürbittendes Gebet für eine betroffene Person ist freilich nicht untersagt, sondern geradezu erwünscht. In der biblischen Szene herrscht Jesus in unglaublicher Entschiedenheit diese quälende, einschnürende Seelenkraft an, die mehr ist als eine - freilich auch bedrängende - Obsession. nach meiner Einschätzung sind es nicht Personen, Dämonen, Quälgeister, die hier sprechen, vielmehr aus Ausgeburt von Unpersönlichem, Apersonalem, Anonymen, was kaum fassbar und benennbar ist. Der ehemalige Tübinger Alttestamentler Fridolin Stier nennt sie "Abergeister", die einen quasipsychotischen Ichverlust zur Folge haben, eine Ausschaltung der eigenen Persönlichkeit zugunsten entfremdender Gedanken und autonomer, selbstredender Instanzen. Das langanhaltende Schreien und Rufen des Besessenen ist unerlässlich. Doch wer will diese Schmerzensschreie schon hören, die Protestrufe. Lieber hält 'man' sich die Ohren zu oder verstopft dem Betroffenen den Mund. Es kann lange dauern, bis eine solche Ich-Zerfaserung geheilt wird (im Unterschied zur biblischen Szene) und die Selbstverneinung, der Selbsthass einem neuen Denken und Fühlen weicht. In der Nähe der Person Jesu geschieht ein solches Aufatmen und die Befreiung - auch heute.